Wohnen im ehemaligen Spital
Das Felix Platter-Spital, ein typischer Bau der Nachkriegsmoderne im Westen Basels, ist in ein urbanes Wohngebäude verwandelt worden. Müller Sigrist Architekten und Rapp AG sind dabei respektvoll mit der Baukultur umgegangen und haben für die Baugenossenschaft wohnen&mehr erschwinglichen Wohnraum mit 135 Wohnungen geschaffen.
Das von den Architekten Fritz Rickenbacher und Walter Baumann 1967 fertiggestellte Felix Platter-Spital ist eine weithin sichtbare Landmarke und ein wichtiger Orientierungspunkt in Basel West. Das Schiff – so wird das zehnstöckige Gebäude wegen seiner lang gestreckten Silhouette genannt – bildet das Herzstück des neuen Kleinquartiers. Das mächtige und filigrane Gebäude ist Teil der Quartierentwicklung auf dem Westfeld und bildet gemeinsam mit dem neuen Felix Platter-Spital und weiteren Wohnbauprojekten ein Ensemble, welches bezüglich des Wohnens neue Massstäbe setzt.
Unser Ziel war es, mit dem Westfeld ein lebendiges Stück Stadt zu schaffen. Mit gemeinschaftlichem Wohnraum, Quartierfunktionen und verkehrsfreien Gassen und Plätzen. Und inmitten dieses neuen Zentrums für Basel West das ungenutzte Spitalgebäude als lebendiger, identitätsstiftender Baustein.
Der umsichtige und nachhaltige Ansatz in der Renovierung bestehender Bausubstanz ist zukunftsweisend. Bis vor wenigen Jahren schien der Abbruch des leer stehenden Spitals unausweichlich. Dank des Engagements der Baugenossenschaft wohnen&mehr für den Erhalt des Wahrzeichens kam eine einvernehmliche Lösung zustande. Dabei spielte das Potenzial des Gebäudes als Wohnhaus und Quartierzentrum eine Rolle, gleichzeitig aber auch die deutliche Verbesserung bezüglich der Energieeffizienz und der Erdbebenertüchtigung.
Im September 2017 hatte die Baugenossenschaft wohnen&mehr einen Studienauftrag lanciert mit einem besonderen Augenmerk auf die horizontale und die vertikale Erschliessung, kombiniert mit einem Konzept zum Tragwerk und zur Erdbebenertüchtigung. Beim zweistufigen Wettbewerbsverfahren resultierten aus 31 Bewerbungen sieben Teams, die am Studienauftrag teilnahmen. Die Wettbewerbsjury entschied sich daraus für die Eingabe der ARGE Müller Sigrist/Rapp. Der Entwurfsgedanke ist geprägt von der Überzeugung, dass ein zukunftsweisendes Wohnprojekt eine Vielfalt und Vielschichtigkeit von Interaktionen im Gebäude ermöglichen sollte. Die zweigeschossige Eingangshalle schafft eine öffentlichkeitswirksame Grosszügigkeit als Verbindung der Aussenräume und als Schnittstelle zu den Nutzungen im Erdgeschoss. Entlang der Rue intérieure sind öffentliche Nutzungen wie Kita, Fitness, Einkaufsmöglichkeiten, Veranstaltungsräume und ein Bio-Bistro angesiedelt.
Fotos: Hans H. Münchhalfen (links), Ariel Huber (Mitte, rechts)
Die Umnutzung eines Gebäudes fordert Respekt, die Ergründung der Seele des Gebäudes und den Mut, eigene Ideen kraftvoll umzusetzen. Unser Wettbewerbsbeitrag produziert im Innern ein völlig neues Bild, das den heutigen Wohnansprüchen entspricht. Die einprägsame Fassade des geradezu ikonischen Gebäudes bleibt bestehen.
Die Konzeption des Entwurfes orientiert sich am Leitbegriff des Miteinanderhauses. In den Obergeschossen sind 135 Wohnungen unterschiedlichster Grösse und Konzeption entstanden, darunter spezielle Wohnungstypen wie Budgetwohnungen, Maisonettewohnungen oder eine Clusterwohnung für Wohngemeinschaften.
Auf dem Weg zur gelungenen Transformation galt es, zusammen mit der Bauherrschaft viele Herausforderungen zu meistern. Dazu gehörten Überraschungen bei der vorgefundenen Bausubstanz, die Preisentwicklung auf den Märkten wie auch die Gesamtkoordination des Grossprojekts. Der Umgang mit der wertvollen Bausubstanz stellte hohe Ansprüche und verlangte eine intensive Auseinandersetzung mit der Aufgabe, innerhalb des Planungsteams und zusammen mit der Bauherrschaft. Müller Sigrist/Rapp lösten die bauphysikalischen Herausforderungen, indem sie hinter der bestehenden, denkmalgeschützten südseitigen Fassade eine neue Schicht einzogen, welche die Klimagrenze nach hinten auf diese Schicht verschiebt. Die nordseitige Fassade wurde technisch-energetisch mit neuen, innenseitig montierten Fenstermodulen saniert. Eine wichtige Rolle spielt die erneuerbare Energieversorgung mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach. Hinzu kommen die dezentrale Wärmeversorgung und der Anschluss an das Basler Fernwärmenetz.
Der Innenausbau des ehemaligen Spitals steht nicht unter Denkmalschutz und die gesetzlichen Vorschriften verlangen eine massive Erdbebenertüchtigung. Entsprechend massiv waren hier die Eingriffe in die Bausubstanz. Die beiden äusseren Treppenhäuser mit den Liftschächten wurden durch neue Treppenhäuser nahe der Zentralachse ersetzt. Sie dienen nun der vertikalen Versteifung und ermöglichten eine höhere Flexibilität in der Wohnraumtypologie. Eine Längswand durchzieht das ganze Gebäude und sorgt für die horizontale Stabilisierung.
Die über zwei Geschosse reichende Eingangshalle bildet den Auftakt in die Wohngeschosse, welche neben den üblichen Vertikalerschliessungen von einer für das Projekt neu entwickelten Erschliessungsfigur aus Kaskadentreppen her zugänglich sind. Sie ermöglichen ein Durchschreiten der vertikalen Struktur des Gebäudes und führen jeweils zu den halböffentlichen Terrassen an den Stirnseiten des Gebäudes. Die Erschliessungsfigur schafft nachbarschaftliche Begegnungszonen und nicht zuletzt einen fantasievollen Bewegungsraum für Kinder.
Die grosszügigen Terrassen bieten neben einer spektakulären Aussicht über Basel und das grenznahe Elsass weitere Begegnungsbereiche für die Bewohnenden. Die baulichen Eingriffe sind so konzipiert, dass das äussere Erscheinungsbild des Baudenkmals nicht wesentlich verändert wird.
Die Baugenossenschaft wohnen&mehr hatte das Spitalgebäude nach der Inbetriebnahme des neuen Felix Platter-Spitals im Sommer 2019 übernommen, unmittelbar danach starteten die Rückbauarbeiten. Das zum urbanen Wohngebäude transformierte Spital wurde im Dezember 2022 der Bauherrschaft übergeben. Die ersten Mieterinnen und Mieter haben im Januar 2023 ihre Wohnungen bezogen.
Fotos: Ariel Huber
35'000 m2
Arealfläche Westfeld
24'601 m2
Geschossfläche
92'265 m3
Gebäudevolumen
8000 m3
Beton weitergenutzt
135 Wohnungen
10 Stockwerke
Menschen hinter dem Projekt
Nina Prochotta, Thomas Stegmaier und Raffael Canonica geben einen Einblick in ihre Arbeit
Rundgang durch das Westfeld
Am 24. September 2022 lud die Baugenossenschaft wohnen&mehr zum Tag der offenen Tür auf dem Westfeld ein und öffnete erstmalig kurz vor Fertigstellung das umgebaute Felix Platter-Spital (Schiff) für die Öffentlichkeit: durchgängig freie Besichtigung inkl. Musterwohnungen, Vorträgen, Infotischen, Verpflegung, musikalischer Intermezzi.
Weiterführende Informationen
ArchitekturBasel: Die Umnutzung des Felix Platter Spitals (2. Mai 2023)
Emissionen beim Umbau Felix Platter-Spital (21. März 2024)
Vittorio Magnago Lampugnani: Gegen Wegwerfarchitektur im Schweizer Fernsehen (20. März 2024)
Umnutzung Felix Platter Spital in Basel (detail.de) (5. Mai 2024)
Hochparterre - Beständigkeit von A bis Z (14. Oktober 2024)