Verkehr der Zukunft 2060
Neue Angebotsformen - Organisation und Diffusion.
Forschung zu zukünftigen Angebotsformen und Geschäftsmodellen der Mobilität
Ausgangslage
Im Verkehrsbereich werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten grundlegende Umwälzungen stattfinden. Auslöser hierfür sind nicht nur technologische Entwicklungen (Digitalisierung, Automatisierung und Elektrifizierung), sondern auch «nicht-technologische» wie der Klimawandel, neue Verhältnisse zwischen Wohnen-Arbeiten und weiteren gesamtgesellschaftlichen Trends. Viele Marktteilnehmende erwarten eine disruptive Entwicklung im Mobilitätsmarkt.
Auftrag
Ziel des Forschungsprojekts war die Untersuchung künftiger Angebotstypen der Mobilität und die Auswirkung von Trends auf mögliche neue Geschäftsmodelle sowie die Organisation des Mobilitätsmarkts. Der Fokus lag dabei auf der zukünftigen Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem Verkehr.
Vorgehen
Gemeinsam mit der ZHAW haben wir im Forschungsprojekt mit Hilfe von Thesen fünf zentrale Entwicklungen formuliert, die ein plausibles Bild des Mobilitätsmarkts 2060 zeichnen.
- Gesellschaftliche Haltungen und Motive sind primärer Treiber für disruptive Innovationen. Technologische Möglichkeiten alleine reichen dafür nicht aus.
- Der Nutzen des Mobilitätszwecks wird massgebend. Verkehr wird zur Commodity, welche integriert ins Produkt oder in die Dienstleistung bezogen wird. Der Preis der Mobilitätsdienstleistung wird nicht mehr vom Produkt getrennt.
- Neue Wege der Wertschöpfung entstehen: Geschäftsmodelle mit Wertschöpfung ausserhalb des Mobilitätsmarkts, werbeorientierte Modelle und Freemium-Modelle sind im Mobilitätsmarkt angekommen.
- Der öffentliche Verkehr muss neu definiert werden, um zu verhindern, dass gesetzliche Pflichten zu einem Korsett werden, mit welchem die heutigen Anbieter ihre Konkurrenzfähigkeit zu privaten Anbietern verlieren.
- In der Forschungsarbeit sind keine Hinweise darauf entdeckt worden, dass neue Angebotsformen einen begrenzenden Einfluss auf die Mobilitätsnachfrage haben könnten. D.h. ohne die Setzung entsprechender Rahmenbedingungen nimmt die Mobilität weiter zu.
Beispiel Überland Mobil AG
Die ÜMAG betreibt einen konzessionierten On-Demand-Shuttlebetrieb im ländlichen Raum.
Statt Haltestellen bestehen räumliche und zeitliche Verfügbarkeitsklassen, die die Wartezeiten bezeichnen, bis das automatisierte Shuttle eintrifft. Die Einhaltung maximaler Wartezeiten ist Voraussetzung für Abgeltungsvereinbarungen mit dem Staat und Aufnahmekriterium des Angebots ins MaaS-Portal Schweiz.
Je nach Preisklasse steht ein Sammeltaxi, ein individuelles Fahrzeug oder ein Sonderfahrzeug mit kundenspezifischer Ausstattung zur Verfügung. Diese werden über Werbepartner ausgestattet. Weitere Spezialangebote, wie z.B. «women only»-Sammeltaxis sind ebenfalls gegen Aufpreis verfügbar.
Die Grundangebote sind über Abgeltungen finanziert. Zusatzangebote werden vom Nutzer selbst bezahlt oder von Drittpartnern getragen.
Beispiel Portemobility
«Sie planen, wir bewegen». Auf der neuen Trendplattform werden keine Reisen mehr geplant, sondern nur Zeit, Ort und Verkehrszweck angegeben. Auf dem Nachhauseweg noch Essen einkaufen? Es muss nur die Abfahrtszeit und Einkaufszeit in der App angegeben werden. Das Shuttle steht pünktlich vor der Tür, kümmert sich um Routenwahl und wählt den Einkaufsladen aus.
Portemobility ist im Grundangebot kostenfrei – ein Freemium-Modell. Bei Basis-Kunden wird während der Fahrt Werbung abgespielt und es bestehen keine weiteren Wahlmöglichkeiten (z.B. bei welchem Detailhändler eingekauft wird). Gegen Bezahlung können Einkaufsort, Fahrzeugkomfort, On-Board-Ausstattung und vieles mehr fallweise oder dauerhaft dazu bestellt werden. Premium-Accounts und Business-Modelle sind verfügbar.
Portemobility finanziert sich damit über Kleinsteinnahmen auf Nutzerseite, bedeutsamer sind jedoch die Einnahmen über Werbepartner und Vermittlungsgebühren, welche Portemobility von den Partnerunternehmen verlangt.
Resultat
Durch die Bearbeitung der Thesen ergaben sich für uns folgende Herausforderungen zur Regulation des zukünftigen Mobilitätsmarkts:
- Neue, sektorübergreifende Geschäftsmodelle erschweren die Regulation des Mobilitätsmarkts. Ein Lösungsansatz kann in der Standardisierung und Schaffung von allgemeingültigen Spielregeln im Mobilitätsmarkt liegen.
- MaaS-Anbietern wird eine hohe Marktmacht zugesprochen, wobei ein gewisser Trade-Off zwischen Monopolisierung und notwendigen Skaleneffekten für einen wirtschaftlichen Betrieb akzeptiert werden muss. Um Missbrauch zu verhindern, muss der Regulator Grundsatzentscheide fällen, ob er eher steuernd eingreift und selbst als MaaS-Anbieter aktiv wird, oder sich darauf beschränkt, Rahmenbedingungen zu setzen.
- Die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs ist aufgrund der Zunahme privater Mobilitätsangebote (in Form einer «Commodity») gefährdet, da mit einem Nachfragerückgang gerechnet werden muss. Neue Mobilitätsangebote bieten Chancen und Risiken für den öV. Die regulatorische Definition von öV und des Begriffs der Grundversorgung sind Voraussetzungen für die Nutzung der Chancen.
Eine gesamthafte Betrachtung der Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt zeigt, dass die aufgezeigten Thesen nicht isoliert wirken werden, sondern zu Wirkungszusammenhängen führen, die den Mobilitätsmarkt der Zukunft grundlegend prägen dürften. Es gilt, weiter zu erforschen, wie sich Mobilität als Commodity konkret in Business Cases äussern kann.
Für die Mobilität der Zukunft ist es wichtig, Chancen zu ergreifen:
- Die gesetzlichen Grundlagen des öV (PBG) so auszugestalten, dass neue Mobilitätsformen als Chance für das öV-Angebot genutzt werden können.
- Neue Strukturen in der Finanzierung und Abgeltung des Verkehrs zu finden, sowohl nutzerseitig durch neue Preismodelle, als auch auf Seiten der Infrastruktur.
- Nutzungsabhängige Infrastrukturen zu prüfen, die mit der zunehmenden Vielfalt an Mobilitätsangeboten und den unterschiedlichsten Geschäftsmodellen umgehen können.