Gassenküche – eine verlängerte Wohnstube
Seit 2018 leitet Andy Bensegger die Gassenküche in Basel. Das Angebot richtet sich an Menschen, die in Not geraten sind. Rapp hat die Organisation mit einer namhaften Spende unterstützt.
Es ist ein neues Zuhause für die Gassenküche. Und das lässt sich sehen. Im Klybeckquartier an der Märkgräflerstrasse 14a hat sie eine neue Bleibe gefunden, nachdem der Verein eine Ewigkeit am Lindenberg die Ausgabestelle unterhielt. «Der Umzug ist für uns ein Glücksfall», meint der Leiter der Gassenküche auf dem Rundgang durch den neu renovierten St. Josephs-Saal. Hell, sauber und einladend wirkt der 200 Quadratmeter grosse Raum. Der Saal gleicht eher einer Mensa als einer Ausgabenküche für bedürftige Menschen. «Eine Kantine für spezielle Menschen», wie es Andy Bensegger mit einem Schmunzeln im Gesicht formuliert.
Alle sind willkommen
Andy Bensegger ist begeistert von der Atmosphäre. Kein Vergleich zu den früheren Verhältnissen am alten Standort. «Am Lindenberg war es eng und laut. Dort gerieten die Menschen schnell aneinander.» Die neuen Räumlichkeiten bieten nicht nur mehr Platz für die Besucher:innen, sondern auch die Arbeitsbedingungen für das siebenköpfige Team haben sich verbessert. «Mit dem Umbau ist die Infrastruktur nach unseren Wünschen angepasst worden.» Eine grosszügige Ausgabetheke erlaubt einen geordneten Ablauf, eine leistungsstarke Geschirrspülmaschine erleichtert den Abwasch und mit dem Steamer lassen sich Speisen kurz aufwärmen. Einzig die Küche fehlt. «Die Mahlzeiten werden frisch in der Küche des Quartiertreffpunkts Union zubereitet und von dort zur Gassenküche ausgeliefert.» Mit dem kann die Crew leben, sind doch Küche und der St. Josephs-Saal ein Katzensprung voneinander entfernt.
Volumen einer Grosskantine
Doch ganz reibungslos ging der Umzug nicht über die Bühne. Es war ein regelrechter Kraftakt für das Team. Mitten in der Umbauphase kam Corona, nichts ging mehr «und als wir am 1. März 2021 am neuen Standort starteten, durften wir aufgrund der Sicherheitsbestimmungen und Abstandsregeln nicht mehr als 30 Plätze anbieten.» Andy Bensegger und sein Team passten sich an, stellten auf Take-Away um. Doch mittlerweile laufe der Zweischichtenbetrieb wieder in geordneten Bahnen. Von Montag bis Freitag wird ein kostenloses Frühstück und ein Abendessen für drei Franken serviert. Der Tagesschnitt: 70 Morgen- und 150 Abendessen. Wesentlich mehr als am Lindenberg. Bensegger vergleicht den Umfang des Betriebes mit der einer Grosskantine. Und bald kommt noch eine dritte Schicht dazu. «Der Sonntagsbrunch wird demnächst wieder eröffnet.»
Neues Publikum
Der Leiter der Gassenküche rechnet am Sonntag mit bis zu 100 Gästen zusätzlich. Ihn freuts. Mit dem Bezug der neuen Räumlichkeiten hat sich auch das Publikum verändert. «Der Anteil der Frauen ist markant gestiegen», betont Bensegger. Am alten Standort scheuten Frauen wie auch ältere Menschen die Gassenküche. Doch eines bleibt auch im neuen Zuhause gleich. «Wir fragen weder nach den Gründen für den Besuch noch nach der Herkunft Gäste.» Bei uns müsse niemand hungrig gehen, unabhängig davon, ob die Menschen Sozialhilfeempfänger, Rentner:innen, Arbeitssuchende, Drögeler oder Alkoholiker sind.
Chef und Betreuer
Andy Bensegger kam über Umwege zu seinem Job. Er hat das KV gemacht und arbeitete lange in der Tourismusbranche. Zur Gassenküche stiess er etwa vor zehn Jahren. An den genauen Zeitpunkt könne er sich nicht mehr erinnern. Als Springer gehörte er damals zum erweiterten Team, bis ihm im Jahr 2018 die Gesamtverantwortung übertragen wurde. Gestern wie heute sieht er sich als Teil des Teams. Als Leiter müsse er schauen, dass der Betrieb störungsfrei laufe. «Ich stehe ständig in Kontakt mit dem Vorstand, kümmere mich um die Finanzen, Administration, Öffentlichkeitsarbeit und um Personalfragen», die nicht nur das siebenköpfige Team betrifft, sondern er koordiniere auch den Einsatz von insgesamt 50 Freiwilligen und der Gäste. Letztere helfen beim Rüsten oder beim Abräumen der Tische mit. Dafür erhalten sie einen Zustupf von 12 Franken in der Stunde. «Das gibt den Menschen eine Struktur und ein Einkommen», sagt Bensegger. Und wenn jemand mal ein paar Tage der Arbeit fernbliebe, müsse niemand mit Konsequenzen rechnen.
Gutes Team im Rücken
Andy Bensegger hat die Gassenküche auf ein neues und professionelleres Niveau, die Finanzierung auf eine solide und sichere Basis hieven können. Und er weiss, dass er ein gut funktionierendes Team im Rücken hat. Ohne ginge es gar nicht. Stellvertretend die zwei Profis in der Küche. Die gelernten Köche kümmern sich um den Einkauf, die Menüplanung und zaubern jeden Wochentag ein neues Gericht mit Suppe, Salat, Hauptgang, Dessert und Tee für die Gäste aus dem Hut. «Wer die drei Franken nicht aufbringen kann, erhält Suppe, Salat, Brot und Getränk gratis.» Die Mengen an Gemüse und Fleisch sind gross. Man beziehe zu Sonderkonditionen, sagt Bensegger. Das Brot komme von der «Schweizer Tafel», die täglich Überschussware von den Grossverteilern an die Gassenküche verteilt. Insgesamt hilft noch ein Netz von 50 Freiwilligen mit. «Viele von ihnen sind schon lange dabei. Sie kennen den Umgang mit den Gästen sehr gut.»
Erneuerungsschwung und Frauenstammtisch
Die Gassenküche soll nicht nur ein Ort sein, wo bedürftige Menschen zu einer Mahlzeit, sondern es soll ein Ort sein, wo sie einen Moment zur Ruhe kommen. Das zeigt sich an der Schlange, die sich auch an diesem Abend bereits eine halbe Stunde vor Türöffnung bildet. Vielleicht mag der schon fast harmonische Eindruck ein falsches Bild vermitteln, «doch es sind Menschen, die von der Armut betroffen sind», meint Bensegger. Er ist eine gefragte Person. Auch an diesem Abend, und er hat ein offenes Ohr für alle. Beispielsweise für die fünf Damen am Frauenstammtisch, wenn er sich zu ihnen setzt und sich erkundigt, ob das Bami Goreng mundet. Hilde, Sonja, Elisabeth, Sönne und Rösli nicken und geben bereitwillig Auskunft. Sonja sei fast jeden Abend in der Gassenküche. «Ich esse einfach nicht gerne alleine zu Abend», sagt die vife und fitte 88-Jährige. Sönne hingegen ist heute Abend mit ihrer Mutter hier. Sie erzählt aus ihrem Leben, und davon, dass sie unter Depressionen leide und ihr die Gassenküche Halt im Leben gebe. Sie hilft auch regelmässig als Gast in der Küche mit. Das neue Zuhause habe einen enormen Erneuerungsschwung und eine neue friedlichere Dynamik ausgelöst, betont Andy Bensegger. Es entspricht seinem Verständnis, dass die Gassenküche sozusagen eine verlängerte Wohnstube für die Menschen ist, die oft vergessen werden und die stark von der Armut betroffen sind.