Verknüpfte Mobilität
Der Bundesrat will eine staatliche Mobilitätsdateninfrastruktur (MODI) aufbauen. Die Vision: Er will die technischen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um die Angebote des öffentlichen und privaten Verkehrs effizient und multimodal zu verknüpfen, erklärt Stefan Zingg, Projektleiter Verkehrsnetz CH beim Bundesamt für Landestopografie, im Gespräch.
MODI steht für eine übergeordnete Dateninfrastruktur in der Mobilität. Aus welchen Hauptelementen besteht diese Dateninfrastruktur?
Die MODI besteht aus verschiedenen Dateninfrastrukturen. Die zwei Hauptelemente dabei sind die
NADIM und das Verkehrsnetz CH. Die NADIM, Nationale Datenvernetzungsinfrastruktur Mobilität, ermöglicht den standardisierten Austausch von Mobilitätsdaten und damit die Vernetzung von Daten der öffentlichen Hand, Mobilitätsanbietern, Entwicklern und Betreibern von digitalen Kundenlösungen wie beispielsweise von Apps sowie weiteren Akteuren aus Wissenschaft und Forschung.
Und das Verkehrsnetz CH?
Das Verkehrsnetz CH ist ein räumliches Referenzsystem für die digitale Abbildung des gesamten Verkehrssystems der Schweiz. Hier sollen einerseits verschiedenste Daten zu den Verkehrsnetzen und der zugehörigen Infrastrukturen zentral durch den Bund synchronisiert, erweitert und optimiert und andererseits Regelwerk und Werkzeuge für deren Nutzung bereitgestellt werden. Das Verkehrsnetz CH bildet damit die Geodatengrundlage für die Verknüpfung von Mobilitätsdaten über die NADIM.
Warum braucht es ein solches Verkehrsnetz CH?
Heute ist es so, dass viele Daten in hoher Qualität, jedoch an unterschiedlichen Stellen und aufgebaut für spezifische Anwendungen vorliegen, und oft nur für einen Verkehrsträger erfasst worden sind. Die Daten miteinander zu verknüpfen, ist häufig nicht oder nur schwer möglich. Eine übergeordnete Koordination findet derzeit nicht statt. Wir wollen mit Verkehrsnetz CH eine verlässliche Geodateninfrastruktur im Mobilitätsbereich aufbauen, damit diese für alle frei zugänglich und verknüpfbar werden.
Was Sie auch in Ihrer Machbarkeitsstudie durchgespielt haben. Können Sie ein Beispiel nennen?
Am Beispiel Blaulichtrouting, das mit Schutz & Rettung Zürich getestet wurde, kann ich das gut verdeutlichen. Darf ich ein wenig ausholen?
Bitte!
Für Einsatzfahrten der Blaulichtorganisationen gelten besondere Bedingungen. Im Einsatz dürfen die Fahrzeuge in spezifischen Fällen von den Verkehrsregeln abweichen. Wo möglich, fahren Einsatzfahrzeuge auf vordefinierten Rettungsachsen, doch auch für Schutz & Rettung Zürich sind umfassende und detaillierte Daten über das ganze Verkehrsnetz sowie aktuelle Verkehrsinformationen und Einschränkungen im Strassenverkehr beim Einsatz wichtig. Letztere ändern laufend. Im Pilotprojekt liessen sich die Daten kombinieren. Der Mehrwert für Schutz & Rettung Zürich: Ein Notfall lässt sich mit der Verknüpfung zusätzlicher Netz- und Betriebsdaten noch effizienter und mit weniger Unsicherheiten koordinieren.
Stefan Zingg (42) ist seit 2014 beim Bundesamt für Landestopografie tätig und heute verantwortlicher Projektleiter Verkehrsnetz CH. Er ist studierter Geograf und hat sich nach seinem Studium an der Universität Bern auf Geoinformation und Geodaten spezialisiert. Er war massgeblich an der Weiterentwicklung und an Automatisierungsprozessen des Topografischen Landschaftsmodells beteiligt. Beim Verkehrsnetz CH geht es um den Aufbau einer nationalem Geodateninfrastruktur für eine effiziente und vernetzte Mobilität von morgen. |
Das Verkehrsnetz CH ist also umsetzbar?
Genau. Ein Verkehrsnetz CH ist umsetzbar. Wir haben ein detailliertes Konzept für die Realisierung und den künftigen Betrieb von Verkehrsnetz CH erstellt. Darin enthalten ist auch der Umgang mit rechtlichen Fragen sowie die Frage der Finanzierung. Die Machbarkeit von Verkehrsnetz CH konnten wir unter anderem mittels Pilotanwendungen bestätigen. Umfassende Tests zum automatisierten Matching des Basisnetzes mit externen Fachnetzen und -daten waren erfolgreich.
Wo sehen Sie noch weitere mögliche künftige Anwendungsbereiche?
Wohin die Reise führt, lässt sich nur erahnen. Das Verkehrsnetz CH wird überall dort zur Anwendung kommen, wo der Bedarf besteht verschiedene räumliche Mobilitätsdaten in Kombination zu nutzen. Es sind mehr als 30 realistische Anwendungsfälle, die wir bei der Analyse der Anforderungen an ein Verkehrsnetz CH berücksichtigt und als Pilotprojekte in Erwägung gezogen haben. Vier davon haben wir in realitätsnahen Pilotprojekten geprüft. Das waren: Basisdaten für ein multimodales Routing, ein national abgestimmtes Netz für Ausnahmetransportrouten auf der Strasse, eine Datengrundlage für die Planung von lärmarmen Fussgängerouten in der Stadt St. Gallen sowie das bereits erwähnte Projekt mit
Schutz & Rettung Zürich.
Und der Mehrwert?
Es entsteht ein grosser Mehrwert, wenn es uns gelingt, verschiedenste Mobilitätsdaten zu verknüpfen und damit in Kombination nutzbar zu machen. So ist die öffentliche Hand heute oft mit der Situation konfrontiert, dass sich ihre bestehenden Daten zum Verkehr nur mit grossem Aufwand gemeinsam nutzen lassen. Verkehrsnetz CH kann zum Beispiel einer Stadt neue, wertvolle Möglichkeiten in der Verkehrsteuerung eröffnen, indem sich zukünftig ihre Baustelleninformationen mit ihren Verkehrsmanagementplänen oder weiteren Daten verknüpfen lassen, auch wenn diese historisch gewachsen auf unterschiedlichen Grundlagedaten aufgebaut wurden.
Wie muss man sich den Aufbau von Verkehrsnetz CH vorstellen?
Das Verkehrsnetz CH ist ein Schnittstellenprojekt. Neben einer ständig aktuellen Datengrundlage braucht es eine Organisation, die den Datenaustausch regelt und ein System zur Verfügung stellt, welches nicht nur frei zugänglich sein wird, sondern die Daten Dritter auch kombinierbar macht. Die Projektleitung hat swisstopo übernommen, die technische Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit mit beauftragten Fachspezialisten aus der Privatwirtschaft. Zudem wird das Projekt von den Bundesämtern ARE,
ASTRA, BAV und BFS eng begleitet. Eine ständige Abstimmung mit den Konzeptverantwortlichen der NADIM gehört auch dazu.
Wie schafft man einen gemeinsamen Nenner für Mobilitätsdaten?
Um die räumlichen Daten verknüpfen zu können braucht es unter anderem ein definiertes Regelwerk für den Datenaustausch. Der gemeinsame Nenner ist das sogenannte Basisnetz. Dieses ist ein einfaches topologisches und geometrisches Kanten-Knoten-Flächen-Modell, das alle Verkehrswege – vorerst Strasse, Schiene, Wasser, Seilbahn – digital und vernetzt abbildet. Dieses Basisnetz steht allen zur Verfügung. Darauf können mit den Werkzeugen von Verkehrsnetz CH die unterschiedlichsten Fachinformationen der Nutzerinnen und Nutzer referenziert werden, unabhängig davon, ob diese auf einer anderen Geodatengrundlage aufgebaut vorliegen.
Das Basisnetz dient also als räumliche Referenz für andere Netze?
Richtig. Die Koordination von Verkehrsnetz CH erfolgt zentral, doch die Quelldaten bleiben im Besitz der ursprünglichen Eigentümer/innen. Sofern diese zustimmen, können auch alle anderen auf ihre Daten zugreifen. Wir werden also keine Apps entwickeln und auch keine Daten sammeln. Wir stellen mit dem Basisnetz als gemeinsamen Nenner und mit Hilfe weiterer Systemkomponenten von Verkehrsnetz CH aber einen Bezug zwischen ihnen her, um darüber zuverlässig und hochautomatisiert mehrere Fachnetze miteinander zu verknüpfen. Das ermöglicht den Austausch und die Kombination der Daten für bestehende und neue Anwendungen, was bisher nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand realisierbar war.
Wann planen Sie die Inbetriebnahme?
Aktuell läuft die Realisierung des Systems und die Entwicklung erster operativer Elemente, gemeinsam mit verschiedenen Partnern. Die Inbetriebnahme von Verkehrsnetz CH hängt auch vom politischen Prozess ab: Heute gehen wir davon aus, dass die benötigte Rechtsgrundlage Ende 2025 in Kraft tritt und wir Verkehrsnetz CH anschliessend in den Betrieb überführen können.
Leistungen RappSwisstopo wurde von mehreren externen Büros unterstützt, die Fachexpertise in verschiedenen Bereichen eingebracht haben. Rapp war als Subunternehmen des hauptmandatierten Büros |