Immer ein offenes Ohr
Der Verein Schwarzer Peter blickt auf 40 Jahre zurück. Die Gassenarbeit feiert im Dezember 2023 ihr Jubiläum. Auf Tour zu den Brennpunkten und zu den Menschen, die sich im öffentlichen Raum der Stadt am Rheinknie aufhalten. Rapp hat den Verein mit einer namhaften Spende unterstützt.
Auf der Geschäftsstelle des Schwarzen Peters herrscht an diesem frühen Dienstagnachmittag ein reges Treiben. Die Stimmung ist gut, der Kaffee duftet aus den warmen Tassen und die Gespräche sind angeregt. «Morgens haben wir Teambesprechung», sagt Adriana Ruzek, Co-Leiterin des Schwarzen Peters. Da sei die Bude voll, und das eine oder andere wird nach der wöchentlichen Sitzung noch bilateral abgesprochen, scherzt sie. «Und sie wird auch voll bleiben», ergänzt Manuela Jeker, Co-Leiterin und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Schwarzen Peter.
Kurzberatungen vor Ort
Die Gassenarbeiter:innen auf der Geschäftsstelle räumen ihre Schreibtische für die anstehende offene Sprechstunde. «An zwei Nachmittagen in der Woche von 14 bis 17 Uhr ist ein Teil unserer Mitarbeiter:innen nicht unterwegs, sondern empfängt die Menschen für die offene Sprechstunde hier an der Elsässerstrasse.» Das erklärt die vermeintliche Hektik und Unordnung auf der Geschäftsstelle. «Wir sehen die Kurzberatungen als Ergänzung zu unserer Arbeit auf der Gasse», meint Adriana, die in der fünfköpfigen Co-Leitung für die Finanzen und Mittelbeschaffung zuständig ist. «Wir geben Orientierungshilfen, klären ab, an welche Stellen wir die Menschen weiterleiten können, oder wir entwickeln im Gespräch mit den Klientinnen und Klienten gemeinsame Handlungsmöglichkeiten oder Perspektiven», erklärt Manuela.
Kernaufgabe: unterwegs sein
Draussen zeigt sich das Wetter von seiner herbstlichen Seite. Dauerregen und deutlich tiefere Temperaturen als in den vergangenen Tagen halten Manuela Jeker und Adriana Ruzek nicht davon ab, die Menschen im öffentlichen Raum aufzusuchen. «Das ist der Kern unserer Arbeit», betonen beide. Es gehe darum, Vertrauen und Beziehungen aufzubauen, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Also auch abends oder dort aufzusuchen, wo sie die Nacht zum Schlafen verbringen. «Die Probleme gehen oft erst nach 22 Uhr am Abend los», sagt Manuela Jeker. Begleitet werden die beiden Co-Leiterinnen von Mats Müller, einem weiteren Mitglied der Geschäftsleitung. Gemeinsam ziehen sie los. Die Gassenarbeit ruft wie jeden Tag, an dem sie an den Brennpunkten des öffentlichen Raums in Basel unterwegs sind. Nur die Ziele am Kopf der Dreirosenbrücke und am Claraplatz sind bekannt. Was sie erwartet, wissen sie nicht
Wir geben Orientierungshilfen, klären ab, an welche Stellen wir die Menschen weiterleiten können, oder wir entwickeln im Gespräch mit den Klientinnen und Klienten gemeinsame Handlungsmöglichkeiten oder Perspektiven
Armut nicht erkennbar
Der Verein Schwarzer Peter blickt auf 40 Jahre zurück. Im Dezember 2023 wird der Verein sein Jubiläum feiern. Manuela ist mit kurzen Unterbrüchen seit 12 Jahren mit an Bord und auf die Frage, ob sich ihre Arbeit im Laufe der Zeit verändert habe, antwortet sie: «Im Grunde nicht.» Was sich verändert habe sei die Klientel, meint die Mutter zweier Töchter und studierte Sozialpädagogin. «Die Menschen, die unsere Beratung in Anspruch nehmen, sind heute viel heterogener zusammengesetzt.» Die Armut sei nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar. Das vermittelt auch das Bild von der kleinen Ansammlung, die sich kurz vor Türöffnung zur offenen Sprechstunde vor der Geschäftsstelle bildet. Erstaunen macht sich beim Schreiber breit.
Abrutschen in die Armut
Dazu passen auch die Zahlen der Caritas. «Im Jahr 2021 waren in der Schweiz 745'000 Menschen von Armut betroffen. Zählt man jene Menschen dazu, die knapp über der Armutsgrenze leben, sind es fast doppelt so viele. 1,25 Millionen Menschen gelten als armutsgefährdet», heisst es auf der Website. Solche Entwicklungen machen auch Adriana Ruzek Sorgen. «Armut ist oft der Beginn eines Teufelskreises». Die gefährlichen Begleiterscheinungen: «Sucht, soziale Isolation, Einsamkeit und Krankheit begleiten die meisten Menschen, die zu uns kommen», sagt die Quereinsteigerin und Mutter von zwei Teenagern. Vor ihrer Zeit beim Schwarzen Peter war sie in leitender Position in der Kommunikationsbranche tätig. Seit 14 Jahren kümmert sie sich beim Schwarzen Peter um die Finanzen und das Fundraising. «Die Menschen rutschen heute sehr schnell in die Armuts- und Suchtfalle.» Dazu brauche es nicht viel. Eine Scheidung, Schulden, ein Unfall oder der Verlust des Arbeitsplatzes reichen.
Sucht, soziale Isolation, Einsamkeit und Krankheit begleiten die meisten Menschen, die zu uns kommen. Die Menschen rutschen heute sehr schnell in die Armuts- und Suchtfalle.
Soziale Auffangnetze fehlen
«Armut ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem», betont auch Mats Müller. Er ist ebenfalls Co-Leiter beim Schwarzen Peter. Sie ist in der Regel das Resultat gesellschaftlicher Umstände, die die Betroffenen kaum beeinflussen können. «Das Abrutschen ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren», betont der Ressortleiter Fachliches. Was ihn am meisten ärgert, ist, dass die Gesellschaft diese Menschen sehr schnell isoliert. Intoleranz und Stigmatisierung nehmen zu. «Weder Arbeitgeber noch Familie sind heute Auffangnetze.» Armut sei hierzulande oft versteckt. «Darunter sind überdurchschnittlich viele Alleinerziehende und Menschen mit geringer Ausbildung», sagt Mats Müller. Und ja, darunter auch viele Migrantinnen und Migranten. Soziale Kontakte gingen verloren, der Anschluss an die Gesellschaft werde immer schwieriger, Perspektiven fehlten. Die Dunkelziffer ist hoch. Was er sagen kann, ist, dass auffallend viele Männer zum Schwarzen Peter gehen oder eine feste postalische Meldestelle haben. Frauen fänden schneller eine Lösung. «Aber oft zu sehr schlechten Bedingungen.»
Armut ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Sie ist das Resultat gesellschaftlicher Umstände, die die Betroffenen kaum beeinflussen können. Das Abrutschen ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren.
Traurige Nachricht
Offen sein für alle, die in einer Krise stecken oder im Moment nicht weiterwissen. So lässt sich das Credo des Schwarzen Peters zusammenfassen. Am Claraplatz treffen wir Jürg Holzherr. «Der Schwarze Peter hat immer ein offenes Ohr. Zuletzt hat er mir geholfen, als mir das Sozialamt eine Zahlung verweigerte», betont Jürg Holzherr. Über 14 Jahre lang war er Tramführer, bis ihn eine Schulterverletzung erst ausser Gefecht setzte und dann aus der Bahn warf. Davon erholte er sich nie mehr. Zuletzt arbeitete er als Reinigungskraft, bis er eine IV-Rente erhielt. Jürg macht an diesem Nachmittag einen fitten und gesunden Eindruck. Doch das täuscht. Wenige Tage nach dem Gespräch kommt die traurige Nachricht, dass er an Herzversagen gestorben ist. Jürg Holzherr betont, dass er trotz Loge viel auf der Strasse unterwegs war. «Das Bier schmeckt in Gesellschaft einfach besser».
Begegnungen ermöglichen
Es sind diese traurigen Nachrichten, die Manuela und Adriana manchmal zweifeln lassen. Doch beide sind überzeugt, dass sich ihre Arbeit lohnt. Sie haben gelernt, sich auf die «Quick Wins» zu fokussieren. «Sonst wäre das alles nicht machbar», fügen beide hinzu. Die strukturellen Probleme lassen sich nicht so schnell lösen. Das sei nicht die Aufgabe des Schwarzen Peters. Umso wichtiger ist es, auf die Missstände aufmerksam zu machen, um den Druck unter anderem auch auf die Politik zu erhöhen. Aber wenn man den Klientinnen und Klienten ein Lächeln auf die Lippen zaubern oder bei der Triage hilft, ist schon viel erreicht. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die weiterhelfen und die Aufgabe des Schwarzen Peters ist es, Begegnungen zu ermöglichen. Zum Beispiel mit dem «Kulturlokal» im Lysa Büchels Garten. «Der Begegnungs- und Kulturraum beim Bahnhof St. Johann wird gemeinsam mit Besucher:innen des Schwarzen Peters und Ehrenamtlichen aus der Bevölkerung betrieben.» Punktuell finden Veranstaltungen statt und neben einem Aufenthaltsraum gibt es eine Werkstatt und «im Aussenbereich wird ein Urban Gardening Projekt mit Gemüseanbau umgesetzt», sagt Manuela.
Schwarzer Peter in Zahlen (per Ende 2022)
316
Meldeadressen sind registriert (ohne Registrierung keine Wohnung, keine Sozialleistungen)
2'096
Stunden Gassenpräsenz
10'017
Kontakte im Büro
3'810
Kontakte auf der Gasse
710
Beratungen zum Thema Wohnen
157
Coupons für Tierarztbesuch verteilt
337
Die Anzahl Menschen, mit denen der Schwarzer Peter im Jahr 2022 neu zu tun gehabt hat
820
Stunden Einzelfallhilfe
3
Coiffeur-Events
Hunderte Kilos
an abgegebenen Kleidern
«Street Credibility»
«Man muss die Menschen mögen», sagt Adriana. Eine Grundvoraussetzung für die Gassenarbeit. Und ja, man müsse sich auf die Arbeit auf der Strasse einlassen. Man lerne, mit den Leuten umzugehen, sich aber auch von ihnen abzugrenzen, damit die Situationen einen nicht auffressen. Man brauche viel «street credibility». «Die Leute merken schnell, ob wir glaubwürdig sind oder nicht», betont Manuela Jeker. Der Spagat zwischen Empathie und Abgrenzung sei gross. «Eine Beziehung aufzubauen, ist das Entscheidende.» Vor allem bei Menschen, die sich neu im öffentlichen Raum aufhalten. Manuela erzählt von einer 30-jährigen Frau, die innerhalb weniger Wochen nicht mehr wiederzuerkennen war. Die Menschen, die zu uns kommen, sind oft schon in einer prekären Situation, und wenn sie erst einmal auf der Strasse sind, bauen sie körperlich und seelisch sehr schnell ab.
Etabliert als Fachstelle
Doch nicht nur für ihre direkte Klientel sind die Gassenarbeiter:innen wichtige Ansprechpersonen. Auch für die Basler Behörden, insbesondere mit dem Einwohneramt, dem Sozialamt sowie der Polizei stehen sie in regelmässigem Austausch. «Obdachlosigkeit wird von den Behörden nicht registriert», erklärt Adriana Ruzek. Deshalb habe man in Absprache mit dem Einwohneramt die Meldestelle eingerichtet. «Derzeit sind rund 350 Personen bei uns registriert, damit sie Briefe und andere Korrespondenz erhalten können.» Die Voraussetzung: Die Leute müssen schon vorher in Basel gewohnt haben. Die Zusammenarbeit mit den Behörden beschreiben die beiden Co-Leiterinnen als vorbildlich. Auch mit der Polizei. «Das erhöht das gegenseitige Verständnis», betonen beide. Auf jeden Fall hat sich der Verein in den 40 Jahren seines Bestehens als Fachstelle etabliert. Immer wieder ist die Meinung der Gassenarbeiter:innen gefragt. So auch beim jüngsten Drogenstammtisch. «Am Matthäusplatz breitet sich die Drogenszene wieder aus.» Eine Belastung für das Quartier und die Bevölkerung, die wie in den 1990er Jahren einen breiten Konsens in der Bekämpfung sucht.
Themen bleiben
Adriana und Manuela kennen das. «Plötzlich taucht ein Problem auf, das schnell gelöst werden muss.» Weil Menschen, die den öffentlichen Raum für sich beanspruchen, nicht immer positiv auffallen, kann der Schwarze Peter zu einer gemeinsamen Lösung beitragen. Das habe die Erfahrung gezeigt, wie vor kurzem die Situation mit den vielen rumänischen Bettlerinnen und Bettler, sagt Manuela Jeker. «Wir sind es, die auf diese Menschen zugehen und das Gespräch suchen.» Den Schwarzen Peter wird es also auch in fünf Jahren noch brauchen. «Die Armutsfalle nimmt tendenziell zu, das Thema Drogen ist nicht aus der Welt zu schaffen und gegen den Alkoholkonsum ist kein Kraut gewachsen», sagt Adriana Ruzek. Die sozialen Brennpunkte der Stadt werden auch in Zukunft für Schlagzeilen sorgen. «Oft unter anderen Vorzeichen», sagt Jeker. Etwa bei der neu entstandenen Drogenszene im Matthäusquartier oder auf dem Areal am Kopf der Dreirosenbrücke, wo das dichte Nebeneinander zwangsläufig zu Nutzungskonflikten führt. Hier werden nicht nur Drogen konsumiert und verkauft, hier halten sich auch Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus und Arbeitslose auf, die sich auf den Bänken mit Dosenbier die Zeit vertreiben. Dazwischen turnen Menschen an den Sportgeräten, werfen Körbe auf dem Basketballplatz oder picknicken auf der Wiese, während ihre Kinder im Bassin planschen. «Unsere Aufgabe ist es, eine Beziehung zu den Menschen aufzubauen, die den öffentlichen Raum nutzen», sagen Manuela Jeker und Adriana Ruzek. Dazu sei viel Gesprächsarbeit nötig. «Die Themen bleiben», aber es brauche Beweglichkeit und schnelle Antworten. Dafür ist der Schwarze Peter bekannt.
Team Schwarzer Peter
Co-Geschäftsleitung | Ressort |
Manuela Jeker | Öffentlichkeitsarbeit |
Adriana Ruzek | Finanzen und Mittelbeschaffung |
Mats Müller | Fachliches |
Lyn Huber | Personal |
Michel Steiner | Koordination |
Weitere Teammitglieder | |
Julia Herter | Administration & Öffentlichkeitsarbeit |
Ali Meraihia | Gassenarbeiter |
Steffi Twerdy | Projektmitarbeiterin |
Laura Bertschmann | Springerin |